21.7.55

I Am a Camera (Henry Cornelius, 1955)

»I saw him in a café in Berlin, / The kind of place where love affairs begin.« Basierend auf John Van Drutens Theaterstück, das Teile aus Christopher Isherwoods autobiographisch inspiriertem Roman »Goodbye to Berlin« verarbeitet, beschreibt »I Am a Camera« – der Titel zitiert den ersten Satz des Buches – die innig-spannungsvolle Freundschaft zwischen dem zurückhaltend-selbstzweiflerischen Schriftsteller Chris (»Well, I’m sort of working on a general idea.«) und der naiv-übermütigen Bohemienne Sally Bowles (»I was a future film star but in present I’m singing in a night club, at least I was.«) im grauen Berlin des Jahres 1931 (»when the banks close down and the knackwurst is one mark and fifty«). Wirtschaftlicher Niedergang und Aufstieg der Nazis bilden den (unscharf gezeichneten) historischen Hintergrund für eine mehr oder weniger turbulente Beziehungsdramödie, die alleine vom furiosen Spiel der Hauptdarstellerin Julie Harris über atmosphärische Unstimmigkeiten und inszenatorische Schwächen getragen wird. Laurence Harveys pralle Haartolle paßt eher zu einem angry young man der Nachkriegsjahre als zum schüchternen (zudem sexuell desorientierten) Intellektuellen Chris, während Regisseur Henry Cornelius (der Anfang der 1930er selbst in Berlin lebte) erstaunlich wenig geistiges und visuelles Gespür für die Melange aus tiefer Erschütterung und hysterischer Vergnügungssucht zeigt, die das gesellschaftliche Klima der Zeit bestimmte (und die Bob Fosse in »Cabaret«, der Musical-Fassung des Stoffes, so brillant einfangen wird). Auch die gelungenen Momente, etwa eine phantastisch überkandidelte Party-Szene, stimmen weniger froh denn melancholisch, verweisen sie doch vor allem auf die verschenkten Möglichkeiten dieses durchaus ambitionierten Films. »I can’t forget him, I never met him, / I only saw him in a café in Berlin.«

R Henry Cornelius B John Collier V Christopher Isherwood, John Van Druten K Guy Green M Malcolm Arnold A William Kellner S Clive Donner P John Woolf D Julie Harris, Laurence Harvey, Anton Diffring, Shelley Winters, Ron Rendell, Lea Seidl | UK | 98 min | 1:1,37 | sw | 21. Juli 1955

# 910 | 14. September 2014

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